Bliss und Dickie
Ein knappes halbes Jahrhundert nach der Einrichtung des anglikanisch-preussischen Friedhofs nahe der sog. Gobat-Schule führten die britischen Pioniere FREDERICK BLISS und ARCHIBALD DICKIE in den Jahren zwischen 1894 und 1897 die ersten Grabungen an dieser Stelle durch. Sie gruben sich in einem Tunnel an der jüngsten Stadtmauer, einer Quadermauer, entlang. Als sie auf die Toranlage stießen, öffneten sie einen kraterähnlichen Schnitt nach oben, um den Bereich der Schwellen genauer untersuchen zu können. BLISS identifizierte schließlich das älteste Portal mit dem bei Flavius Josephus überlieferten Essener-Tor (Bellum Iudaicum V, 145).
Aufgrund der Beschreibung der topographischen Elemente bei Josephus ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Zuweisung tatsächlich zutrifft: Flavius Josephus nennt zwei Orte – eine Latrinenanlage Betso und das Essener-Tor – als zwischen dem Hippikus-Turm und dem Ost-Knick der Stadtmauer gelegen. Für den Standort der Latrine gibt es zwar noch keinen archäologischen Nachweis, doch deren Zwischenstellung und die örtliche Nähe des von BLISS und DICKIE ergrabenen Tores zum Knick der Stadtmauer nach Osten legt eine Zuordnung desselben als Essener-Tor nahe.
Einige Jahre darauf wurde der Friedhof nach Südosten erweitert. Aus diesem Grund schloss man die Grabung von BLISS und DICKIE mit einer Mauer zum Friedhof hin ab und terrassierte den gesamten südlichen Bereich.
Frederick Bliss und Archibald Dickie
Pixner
Fast ein Jahrhundert später suchte ein Benediktinermönch der Dormitio-Abtei, P. BARGIL PIXNER, vor dem Hintergrund seines theologischen Interesses nach Zeugnissen aus der Zeit Jesu in Jerusalem. Auf der Grundlage der Zuweisung des Essener-Tores zum bereits ausgegrabenen Befund am Zionsberg und der Existenz einiger Mikwaot in der Umgebung, die er dem erhöhten Reinheitsbewusstsein der Essener zuschrieb, etablierte er die Idee eines Essener-Viertels auf dem Zion und begann eine großangelegte Grabungskampagne (1977–1988), um seine Thesen zu belegen. In den wenigen tatsächlich publizierten Artikeln und Beiträgen zu den Grabungen am Essener-Tor richtete er den Fokus weniger auf die Archäologie, sondern auf die Erläuterung seiner Ansichten.
Er konstruierte in diesen Texten – unter Vermischung einer eigenwilligen Interpretation archäologischer Befunde mit einer Fülle von literarischen Quellen – die Geschichte eines Essener-Viertels, das in herodianischer Zeit entstanden sei und das die erste judenchristliche Gemeinde hervorgebracht habe. Aufgrund der selektiven Dokumentationsweise fehlt eine umfassende Grabungspublikation und selbst in den Archiven der Dormitio-Abtei sowie der Israelischen Antikenbehörde (IAA) ist bislang wenig zusätzliches dokumentarisches Material entdeckt worden. Nachdem PIXNER seine Grabungen 1988 einstellte, wurde ein Teil des Aushubs zurück in die Schnitte geschoben. Nach seiner Stilllegung verwahrloste das Areal zunehmend, wurde von Pflanzen zugewuchert und als Müllablageplatz des Friedhofs verwendet.
Die Diskussion um die Befunde kam dadurch jedoch nicht zum Stillstand. Die auf breite Zustimmung stoßende Zuordnung des Tores zu dem bei Flavius Josephus genannten Essener-Tor steht den Theorien zu einem Essener-Viertel auf dem Zion gegenüber, die zumeist abgelehnt werden. Seit den späten 80er-Jahren wurden in der Umgebung der Ausschachtungen PIXNERs allerdings keine Grabungen mehr durchgeführt. Die Besiedlungsstrukturen, die sich innerhalb der Stadtmauern befunden haben, wurden dementsprechend nie archäologisch untersucht, sodass bisher auch keine der die Wohnviertel betreffenden Theorien überprüft wurde.
In den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts führten Theorien zur Ausdehnung deiner vor-exilischen Stadtmauer bis an die Hänge des Hinnom-Tales zu einer kontroversen Diskussion. Diese basiert unter anderem auf den Entdeckungen eines Stadtmauerabschnitte durch N.AVIGAD im Norden des Jüdischen Viertels der Altstadt, die vom Ausgräber in das Ende des 8. Jh. v. Chr. datiert wird. Aber auch die Ausgrabungen von PIXNER im Anglikanisch-Preussischen Friedhof und die nahegelegenen Ausgrabungen von ZELINGER im Süden der Khavitat Yerushalayim spielen eine Rolle in der Debatte. Laut PIXNER kann die im Süd-Osten des ‚Unteren Tores‘ gefundenen Mauer in die vor-exilische Periode datiert werden.