Ausgrabungen auf dem Zionsberg vom 1. bis 31.7.2020
Die Ausgrabungen im Jahr 2020 mussten aufgrund der Covid 19-bedingten Einreisebestimmungen ohne Volontäre stattfinden. So beteiligten sich neben den sechs zum Institut gehörenden Mitarbeiter/innen noch einige Helfer/innen, die stunden- oder tageweise aus Jerusalem das Team verstärkten.
Das Ziel der Ausgrabungen in diesem Jahr war den seit über einem Jahrhundert diskutierten Fragen nach dem Verlauf der eisenzeitlichen Stadtmauern Jerusalems gewidmet, die wesentliche Folgerungen für unsere Vorstellungen von der Größe und Ausdehnung des alttestamentlichen Jerusalem beinhalten. Außerdem war die Frage, wie das Jerusalem der persischen/hellenistischen bis römischen Zeit auf dem Zionsberg (dem Südwesthügel der Stadt) aussah, das im Jahr 70 n.Chr. durch Titus‘ Armee zerstört wurde. Die ehrgeizige Frage hat alle Kräfte der in Jerusalem anwesenden Personen gebunden – und konnte mit einem äußerst überraschenden Ergebnis abgeschlossen werden (s. u).
Wir trugen ein 12 m2 großes Areal bis zu einer Tiefe von 5,50 m ab, um auch die in der wissenschaftlichen Diskussion immer wieder erwähnt werdende „eisenzeitliche Stadtmauer“ auf dem Zionsberg untersuchen zu können. Dabei handelt es sich um eine bis zu unserer Grabung noch weitgehend in einem Steilabhang befindliche Mauer, die der Mönch Bargil Pixner von der nahegelegenen Dormitio-Abtei in den 80er Jahren eisenzeitlich (= alttestamentlich) datierte. Benachbarte Grabungen konnten solche Mauerführungen nicht vorweisen und folglich war eben diese Mauer – auf die sich alle weiteren archäologischen Ausgrabungen des Zionsberges beriefen – von besonderer Bedeutung und musste exakt untersucht werden.
Alle aufgefundenen Stadtmauern wurden sorgfältig ausgegraben und deren Bauphasen und Überschneidungen durch Testschnitte untersucht sowie wieder neu aufgebaut und konserviert. Zur zeitlichen Bestimmung wurden OSL- und C14-Proben aus allen Stadtmauern und deren Gründungen in großer Zahl entnommen. Deren Auswertung wird sich allerdings bis ins Jahr 2021 ziehen und die unten angegebenen groben Datierungen präzisieren.
Zum geschichtlichen Hintergrund
Die Bibel berichtet in 2 Kön 20,20, dass Hiskia den Wassertunnel unter der Davidstadt gebaut habe und damit das Trinkwasser in die (ummauerte) Stadt gebracht habe. Auch von einer Belagerung Jerusalems durch den assyrischen Großkönig Sanherib wird dort in 2 Kön 18 und 19 berichtet – was notwendigerweise eine ummauerte Stadt voraussetzt. Diese Belagerung wird in assyrischen Quellen bestätigt:
»Hiskia von Juda jedoch, der sich nicht unter mein Joch gebeugt hatte – 46 mächtige ummauerte Städte sowie die zahllosen kleinen Städte ihrer Umgebung belagerte und eroberte ich durch das Anlegen von Belagerungsdämmen, Einsatz von Sturmwiddern, Infanteriekampf, Untergrabungen, Breschen und Sturmleitern. … Ihn (scil. Hiskia) selbst schloss ich gleich einem Käfigvogel in Jerusalem, seiner Residenz, ein.«
Weiterhin wird in den Makkabäerbüchern und bei Flavius Josephus berichtet, dass in der hellenistischen (d.h. ptolemäischen und seleukidischen Ära) in Jerusalem erneut eine Stadtmauer errichtet wurde (3./2. Jh. v. Chr.), außerdem werden in der hasmonäischen Zeit verschiedene Baumaßnahmen aufgezählt (2/1. Jh. v. Chr.). Letztgenannte Mauern ließen sich sämtlich in unserem Areal I direkt am Abbruch zum Hinnomatal auffinden. Dominiert wird das Areal I von den drei Toren (aus der Zeit von Herodes d. Gr. [37-4 v.]; Hadrian [nach 135 n.]; byzantinische Zeit [4./5. Jh. n. Chr.?]) und den dazugehörigen Mauern der herodianischen und byzantinischen Zeit. (Das hadrianische Tor stand als Bogenmonument frei – wie vergleichbar das zeitgenössische Damaskustor – das damals nach der nördlich von ihm gelegenen Stadt Neapolis-Tor benannt wurde.)
a) byzantinische Mauer mit Stadttor und Turm – vermutlich 4. Jahrhundert n. Chr. – diskutiert wird auch ein Bau durch die römische Kaiserin Eudokia (401-460 n. Chr.). Diese Mauer wurde von uns in ihrer Breite „geschnitten“ und von ihren Fundamenten an mit all ihren Umbauten untersucht – z. B. ihrer Reparatur nach der (von uns so vorläufig datiert) persischen Zerstörung nach deren Einnahme der Stadt 614 n. Chr.
b) Hadrian (1. Hälfte 2. Jh. n. Chr.) – freistehendes Tor (‚Bogenmonument‘)
c) Herodianische Mauer mit dem berühmten ‚Essenertor‘ (Name von Flavius Josephus) und zwei Stadttürmen im NW und SW des Tores
d) die ‚hasmonäische Zeit‘ verblüffte mit einer Kasemattenmauer – die schon bei Bliss und Dickie vor über 100 Jahren im katholischen Friedhof (östlich unserer Grabungsstelle) ähnlich aufgefunden wurde. Die 2,40 m breite Konstruktion konnte ebenfalls in unserem Areal I nachgewiesen werden. Ihre Verfüllung – so meinte man bisher – wurde von Bargil Pixner (Mönch der Dormitio-Abtei) in den 80er Jahren entfernt. Doch die Anlage der Kasematten-Stadtmauer war direkt auf den anstehenden Fels gegründet. Die nicht flächendeckende Verfüllung lag ca. 70 cm höher und war tatsächlich nur eine Schüttschicht (die während der Reparatur der Mauer nach 624 n. Chr. angelegt wurde?).
Pixner wies diese Stadtmauern, deren Konstruktion und deren Fundamente zu mehr als 90% hellenistisch/frührömische Scherben beinhaltete, der Eisenzeit (also angesichts der Berichte im 2. Königsbuch der alttestamentlichen Epoche des 8. Jh. v. Chr.) zu – getrieben von der Suche nach einer Bestätigung dieser biblischen Berichte. Durch die lückenhafte Dokumentation seiner Arbeiten war seine Argumentation nicht mehr nachzuvollziehen. Angesichts unserer Ergebnisse ist seine These definitiv zurückzuweisen. Tatsächlich fand er (und auch wir) verstreut Scherben der Eisenzeit II – was für eine Nutzung des Bereichs als Wohnbereich oder für eine landwirtschaftliche Nutzung in dieser Epoche spricht. Doch stets datieren die jüngsten Scherben (hier mehr als 90%) das Bauwerk. Und die Scherben der klassischen Zeit dominierten das Bauwerk und lagen sogar in dessen Fundamentschicht.
Zu dieser Mauer gehörten möglicherweise ebenso ein weiterer Turm und ein Torbereich westlich der heute bekannten Tore. Die Umrisse dieser Bauten wurden von Bliss und Dickie vor 100 Jahren beschrieben und vermessen. Eine Datierung dieser Anlage ist nicht möglich, weil diese seit 1903/4 als anglikanisch-preußischen Friedhofs genutzt wird und seit 1917 mit deutschen Kriegsgräbern des Ersten Weltkrieges überdeckt wurde.
e) Nordöstlich der byzantinischen Stadtmauer wurde eine weitere Ummauerung der Stadt aus hellenistischer Zeit (3./2. Jh. v. Chr.) freigelegt. Sie besteht aus massiven Quadern von etwa 110 x 32 x 45 cm sowie aus kleineren Steinen auf dem abgearbeiteten Fels als Fundament. Die Bauweise der Mauer ist mit einer Fortifikationsmauer vergleichbar, insbesondere mit den Anlagen in Samaria/Sebaste aus dem 4./3. Jahrhundert v.Chr.
f) Eindeutig eisenzeitliche Mauerreste konnten bisher nicht aufgefunden werden, obwohl der gesamte Bereich bis zum natürlichen Felsen abgesucht wurde. Ob einige der unter der byzantinischen Mauer liegenden Steine zur eisenzeitlichen Mauer gehörten, werden uns die OSL- bzw. C14-Daten sagen können. Die Chancen stehen schlecht, in unserem Bereich den eindeutigen Verlauf der alttestamentlichen Mauer nachweisen zu können. Dies stimmt mit allen Befunden der israelischen Grabungen der Antikenbehörde (IAA) auf dem Zionsberg überein. Diese lassen vermuten, dass die hellenistische Stadtmauer die eisenzeitliche überbaute und ihrem Verlauf folgte. Allein Bargil Pixners Ausgrabungen der 80er Jahre standen dem als ‚Leuchtfeuer‘ dieser Folgerung entgegen. Seine Annahmen sind nun aber aufgrund unserer Erweiterung des Ausgrabungsbereiches definitiv widerlegt.
Was bedeutet das? Die alttestamentliche Stadt des 8. Jh. v. Chr. unter dem König Hiskia war ummauert. Sie war größer als die heutige Davidstadt, die bereits im 18. Jh. v. Chr. angelegt wurde (Kanaanäer) und im 10. Jh. von David erobert wurde. Die Stadt des 8. Jh. v. Chr., die König Sanherib belagerte, muss die assyrischen Flüchtlinge aus dem israelischen Norden mit eingeschlossen haben – war also deutlich größer als die Davidstadt. In den bisherigen Rekonstruktionen wurde die Stadt des 8. Jh. unter Einschluss des gesamten Zionsberges recht weitläufig, um nicht zu sagen ‚riesig‘ rekonstruiert. Von dieser Idee muss man sicher Abstand nehmen und sich mit kleineren Lösungen anfreunden und diese in der Folge auch archäologisch nachweisen …, das wird aber einige Zeit dauern. Wir stehen mit dieser Frage wieder am Anfang!
Zum Projekt
Das Grabungsprojekt des DEI wurde 2015 begonnen und umfasst bisher drei Areale. Das Areal I liegt im Bereich des anglikanisch-preußischen Friedhofs östlich der antiken Stadtmauern und stellt das flächenmäßig größte Ausgrabungsgebiet dar. Es wurde 2015 gereinigt und von 2016 bis 2020 archäologisch untersucht. Hier handelt es sich um ein Wohngebiet durchaus gut situierter, keineswegs aber reicher Stadtbürger/Menschen. Wir konnten verschiedene Strata (Zeitbereiche) ausgraben. Es fehlen die eisenzeitlichen/alttestamentlichen Häuser, obwohl eisenzeitliche Scherben aufgefunden wurden.
Das Areal II befindet sich im sogenannten „Griechischen Garten“, westlich der Dormitio Abtei. Hier wurde in den Jahren 2017 und 2018 eine reiche Villa der byzantinischen Zeit im gegenüber Areal I erhöht liegenden Areal ausgegraben. Im Jahr 2019 folgte die Öffnung von Areal III nahe einer im Friedhof befindlichen Doppelmiqvenanlage zwischen den beiden anderen Arealen. Hier wurde Reste der ayyubidischen Ummauerung des Zionsberges (Turm, Mauerreste und Trockengraben) sowie reich ausgestattete frührömische Häuser (der Zeit bis zum Jahr 70 n. Chr.) ausgegraben.
Die Arbeiten stehen unter Leitung von Dieter Vieweger und wurden maßgeblich durch die Arealleiter/innen Friederike Schöpf, Katja Soennecken, Michael Würz, Katharina Palmberger sowie Jennifer Zimni vorangetrieben.
Im Jahr 2021 sollen Bereiche um das Bet Joseph (Dormitio-Abtei) als Areal IV ausgegraben werden.
Forschungsgeschichte und Ergebnisse Wohnbereich Areal I
Die Areale I und II wurde bereits von Frederick Bliss und Archibald Dickie im 19. Jahrhundert mit Tunneln und Schächten archäologisch untersucht – sie fanden auch das ‚Essenertor‘ und die beiden jüngeren Toranlagen (s.o.). Weitere Ausgrabungen folgten unter Bargil Pixner, Doron Chen und Shlomo Margalit in den 1970er und 1980er Jahren. Ihre Forschungen waren von einem vordefinierten religiösen Interesse am frühen Christentum und den Essenern veranlasst, ebenso ihre Deutungen.
Die bereits dadurch bekannten dazugehörigen Stadtmauern sowie der Turm wurden 2015 durch das DEI wieder sichtbar gemacht.