Die vom DEI ausgegrabenen Areale (2015-2021)

Vom 4.-30.7.2021 führte das DEI in Kooperation mit der israelischen Antikenverwaltung eine erste Grabungssaison in den Gärten der Dormitio-Abtei (Areal IV) durch. Drei Bereiche wurden geöffnet. Im Tiefschnitt (Areal IV/1) nordlich des Bet Yosef wurde beabsichtigt, den bereits im anglikanisch-preußischen Zionsfriedhof (Areal III) gefundenen ayyubidischen Trockengraben mit den angrenzenden Stadtmauerresten freizulegen, während die Areale IV/2 und IV/3 (beide nordwestlich des Bet Yosef) die byzantinische Bebauung erkunden sollten. Dabei wurde bald klar, dass die deutlichen Höhenunterschiede im heutigen Umfeld des Bet Yosef nicht den ayyubidischen Trockengraben oder gar natürliche Gegebenheiten widerspiegeln, sondern erst durch Aufschüttungen im Rahmen von Bauarbeiten im 20. Jh. n. Chr. geschaffen wurden.

Die ayyubidische Mauer ist deutlich weiter östlich des Bet Yosef anzunehmen – was bereits F. Bliss und A. Dickie gegen Ende des 19. Jh. vermuteten.

Die Grabungsbereiche in Areal IV (2021)

Um die byzantinischen Wohnbereiche zu erreichen, benötigten die Grabungsteams eine bzw. zwei Wochen. Erst nach dem Abtragen des 1,5 bis 3,5 m aufgehäuften modernen Schutts mit Fundstücken wie Plastikflaschen, einem amerikanischen Eagle von 1984 und einer viktorianischen Münze des Jahres 1903 sowie vielen osmanischen Pfeifenköpfen wurden nach einer verfestigten Kalkschicht umayyadische (638-750 n. Chr.) und byzantinische Wohnbereiche gefunden (4-7. Jh. n. Chr.). In Areal IV/2 reichte die Stratigrafie sogar bis in die herodianische Zeit zurück. Davon und von der Eisenzeit II zeugen in Areal IV/3 nur Keramikscherben.

Areal IV 3 während der Arbeit

Das byzantinische Gebäude in Areal IV/3 mit einem in den Felsen geschlagenen verputzten Raum (ehemals Keller?), einem zentralen Hof mit Wasserkanal und Zisterne sowie weiteren angrenzenden Räumen ähnelte stark der typischen byzantinischen Wohnbebauung innerhalb des byzantinischen Stadttors auf dem anglikanisch-preußischen Zionsfriedhof.

Areal IV 3: rot/rosa – kreuzfahrerzeitliche Befestigungsmauer; lila/blau – byzantinisches Haus (später umayyadisch überbaut, siehe z.B. die wiederverwendet Säulentrommel rechts oben)

Ein Hortfund nahe einer Innenmauer dieses Gebäudes brachte 16 byzantinische Münzen ans Tageslicht, die vermutlich vor der sassanidischen Eroberung mit all ihren Verwüstungen und Plünderungen in der Stadt 614 n. Chr. vergraben worden waren. Der Besitzer war nach den dramatischen Ereignissen am Anfang des 7. Jh. n. Chr. offenbar nicht mehr in der Lage, seine Ersparnisse nach der Rückeroberung der Stadt wieder an sich zu nehmen.

Hortfund

Bei der Erweiterung des Areals IV/3 nach Norden stießen die Ausgräber auf eine gewaltige Struktur, die beim ersten Anblick an den abgearbeiteten, natürlich anstehenden Felsen erinnerte. Sie entpuppte sich allerdings als eine massive, 3,20 m breite Mauer, die an der Außenseite zusätzlich auf einem vorspringenden Fundament gründete. Die monumentale Bauweise dieser Mauer übertraf die vier vom DEI in den letzten Jahren ausgegrabenen Stadtmauern auf dem Zionsfriedhof deutlich. Die neu entdeckte Verteidigungsmauer im Garten der Dormitio besaß auch eine höhere Verteidigungsfähigkeit als die byzantinische Mauer des 5. Jh. n. Chr. Ihre Höhe darf auf 6-8 m geschätzt werden.

Die neu aufgefundene Mauer verlief in etwa parallel zur Längsachse der byzantinischen und der kreuzfahrerzeitlichen Kirche auf der Spitze des Zionsberges. Die Keramik des Umfelds deutet ins (Hoch-)Mittelalter.

Dank der freundlichen und kundigen Hilfe der Professoren D. Pringle, H.E. Mayer, T. Wozniak, W. Zöller, A. Reʿem und K. Bieberstein wurde sehr bald klar, dass es sich hier um eine Ummauerung der kreuzfahrerzeitlichen Marien- und Heiliggeistkirche und des angrenzenden Klosters (des Augustinerchorherrenstifts) handelte. Über sie berichten mittelalterliche Pilger:

Theodoricus, der sehr wahrscheinlich 1172 n. Chr. in Jerusalem weilte, erwähnt in seinem Itinerar (Kapitel 22) den zu seinen Zeiten südlich vor den Stadtmauern liegenden Zionsberg und die dortige Marienkirche. Sie sei mit Mauern und Türmen geschützt gewesen: „Sion ergo mons, ad meridiem extra muros civitatis ex maxima parte constitutus, ecclesiam dominae nostrae sanctae Mariae articulatam, muris, turribus, propugnaculis adversus gentilium insidias valde munitam continet, in qua regulares praepositum habentes Deo deserviunt.“

Auch Johannes Phocas (Kap. 14) berichtete von seinem Besuch 1177 n. Chr. in Jerusalem über eine starke Befestigung auf dem Zionsberg, in der sich die große Kirche, die Hagia Sion, die Mutter aller Kirchen, befunden habe.

Dies bestätigen auch die Gesta regis Henrici Secundi Benedicti Abbatis (1169-1192), die das Augustinerkloster auf dem Zionsberg als „Castellum“ bezeichnen.

Schließlich ist noch auf die Karte von Cambrai zu verweisen. Sie stammt aus der Mitte des 12. Jh. n. Chr. und bildet auch die anderen beiden ummauerten Klöster ab, die in den Gesta als „Castellum“ benannt werden (auf dem Ölberg, im Tal Joschafat [Kidron] und auf dem Zionsberg). Sie heben sich mit ihrem Piktogramm durch Mauern (mit Zinnen) im Vordergrund und mehrere Türme von den vielen freistehenden Kirchen ab.

Karte von Cambrai, siehe das befestigte Kloster unten links (aus Wikipedia, gemeinfrei)

Dies alles deckt sich mit den Informationen des muslimischen Geographen Muhammad al-Idrisi, der bereits vor 1154 n. Chr. schrieb. Er erwähnt die Kirche auf dem Berg Zion. Sie sei nicht nur prächtig, sondern auch befestigt.

Die Gründungsgeschichte des Zionsstifts ist einer verfälschten, in ihrem Kern jedoch unverdächtigen Urkunde Papst Alexanders III. von 1179 zu entnehmen. Kurz nach der Eroberung Jerusalems 1099 n. Chr. hatte Herzog Gottfried von Bouillon die Zionskirche als lateinisches Chorherrenstift neu errichten lassen. Er verlieh der Kanonikergemeinschaft den vollen Besitz des Berges außerhalb der Stadtmauern. Bald flossen weitere Schenkungen ein, und bis 1179 n. Chr. hatte der in den Rang einer Abtei erhobene Regularkanoniker-/Augustinerchorherrenkonvent einen beträchtlichen Landbesitz im lateinischen Osten sowie weitere Besitztümer in Italien, Spanien und Frankreich angehäuft. Im 12. Jh. wurde auch die Basilika umfassend erneuert. Diese Arbeiten werden sich mindestens bis ins Jahr 1141 n. Chr. hingezogen haben, als auf dem Berg Zion ein großes Kirchenkonzil stattfand. Als Johannes von Würzburg (um 1165 n. Chr.) in Jerusalem weilte, war die Kirche auf dem Berg Zion bereits zu einer der beeindruckendsten in der Stadt geworden.

M. Broshi fand bereits 1971/1972 eine 2,25 m breite Mauer im armenischen Friedhof, die er als Umfassungsmauer der Klosteranlage im Norden (zwischen Stadt und Zionsberg) interpretierte.

M. Broshi, Excavations on Mount Zion, 1971-1972, IEJ 1976, (81-88) 86 Fig. 3 – Umfassungsmauer rot nachgezeichnet (Dank für die Publikationsrechte an Hillel Geva, IEJ)

Über die Lage der Klausur lassen sich kaum fundierte Aussagen treffen. Ein Anschluss westlich an die Kirche wäre ungewöhnlich (obwohl hier am meisten Raum verfügbar war, da dieser Bereich aufgrund der Höhenzüge mit ummauert werden musste), da von hier in der Regel der öffentliche Zugang zum Sakralraum erfolgte. Ob die Zuwegung von der Stadt die Anlage von Dormitorium, Refektorium etc. nördlich der Kirche ausschloss, kann ebenso nur vermutet werden. Für einen Annex im Süden spricht die Lage des späteren franziskanischen Kreuzgangs, bei dessen Errichtung man sich an der architektonischen Situation der Kreuzfahrerherrschaft orientiert haben könnte.

Kirche auf dem Mt. Zion mit Umfassungsmauern

In einem Bericht über Saladins Eroberung aus dem Jahr 1187 n. Chr. wird die Abtei auf dem Berg Zion als eine der letzten christlichen Befestigungen erwähnt, die von den Muslimen eingenommen wurden, bevor Jerusalem selbst belagert werden konnte. Ihre herausragende topografische Lage schützte die Kirche vor der Zerstörung durch Saladin. Stattdessen wurde sie in den neuen, weiter südlich reichenden ayyubidischen Mauerring einbezogen, mit dem Saladin den Gipfel des Berges nun umschließen ließ.

Wilbrand von Oldenburg sah im Jahr 1212 n. Chr. den Südwesthügel in diesen Stadtmauerring einbezogen, dessen Verlauf noch um 1310 n. Chr. von Marino Sanuto Torselli auf einem Stadtplan dargestellt und von F.J. Bliss und A.C. Dickie an verschiedenen Stellen am Abhang oberhalb von St. Peter in Gallicantu nachgewiesen wurde.

Im Herbst 1218 n. Chr. wurde das ägyptische Damiette von den christlichen Truppen während des fünften Kreuzzuges belagert. Damit war auch die südliche Levante bedroht. Al-Muʿaẓẓam ʿĪsā, ein Neffe Saladins, zog nach Ägypten, um seinem Bruder Al-Malik al-Kāmil zu unterstützen. „Da Jerusalem ohne Garnisonen schutzlos zurückblieb und ohnehin zum Verhandlungsgegenstand geworden war, befahl Al-Muʿaẓẓam ʿĪsā, die Stadtmauern ebenso wie die Festungsanlagen in Ṣafed, am Berg Tabor, in Al-Karak, Tibnīn und an anderen Orten zu schleifen, damit sie leichter zurückzuerobern seien, und reiste im Frühjahr 1219 n. Chr. selbst nach Jerusalem, um den Abbruch gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen, woraufhin Frauen, Kinder und Alte die Stadt verließen und nach Damaskus oder Kairo flohen.“ Vermutlich wurde mit den Mauern auch die Marienkirche auf dem Zionsberg im Jahr 1219 n. Chr. zerstört. Ob die Christen, die von 1229 bis 1244 n. Chr. wieder im Besitz Jerusalems waren, die Mauer wieder verstärkten scheint angesichts der schnellen Eroberung 1244 unwahrscheinlich.

Folglich kann man davon ausgehen, dass die nach 1099 n. Chr. errichtete Schutzmauer um die repräsentative Kirche des Zionsberges vermutlich nicht bereits 1187 n. Chr., sondern erst im Zuge der 1219 n. Chr. durchgeführten bewussten Eingriffe durch Al-Muʿaẓẓam ʿĪsā in Jerusalem zerstört wurde.